Guten Morgen,
heute mal etwas aus der Welt der Logistikdienstleister. Lässt sich aber auch gut auf viele andere Bereiche übertragen. Mehr dazu nach der Geschichte. ;)
Theodor
Kaum jemand weiß, dass unsere Erde bereits seit Mitte der achtziger Jahre dem Untergang geweiht ist. Nein, ich rede nicht über den Klimawandel, die Erde droht auseinanderzubrechen. Ganz glatt und in zwei große Teile mit nur ein wenig zusätzlichem Geröll. Es begann am 19. September 1985 gegen 15:17 deutscher Zeit; ein Donnerstag… wie passend. In Mexiko wackelte die Erde und viele tausend Kilometer entfernt im Ruhrgebiet im Keller eines Mehrfamilienhauses begann ein Heizungsrohr zu lecken. Zuerst schenkte ihm Alfred Huber – einer der Bewohner des betroffenen Hauses; damals tätig als Hausmeister an einer Schule, heute offiziell pensioniert – keine besondere Aufmerksamkeit, flickte es provisorisch mit etwas Klebeband und vergaß es danach erst einmal wieder für einige Wochen. Bis ihn irgendwann ein ungutes Gefühl ereilte, dass es doch mehr damit auf sich hatte. Wirklich aufklären konnte er es jedoch nie und die Seismologen in ihren fernen Messstationen hatten auch keine Chance festzustellen, dass, wann immer es entsprechend auf der Erde rumpelte, dies mit dem leckenden Rohr im Zusammenhang stand und es schlicht eine neue Schicht Klebeband erhielt. Warum das Heizungsrohr nie erneuert wurde? Nun ja, die Hausverwaltung hat jedes Jahr und jeden Monat erneut behauptet, die entsprechenden Arbeiten „würden auf jeden Fall bald losgehen; schon nächste Woche“… doch dazu kam es nie. Zum Glück, muss man sagen, denn ansonsten wäre ja kein Klebeband mehr vorhanden gewesen, um die Erde zusammenzuhalten. Das leckende Rohr war ja schließlich nur ein irreführendes Symptom. Und wie kommt nun unser guter Theodor ins Spiel und wer ist das eigentlich? Theo ist Paketzusteller. Aber vor allem ist Theodor ein herzensguter Mensch – vielleicht einer der zehn besten auf der ganzen Welt – und laut häufiger Aussage seiner Kollegen „nicht die hellste Birne im Leuchter“. Leider muss man seinen Kollegen da durchaus recht geben. Im Vergleich zu Ihnen ist sich Theodor dieses Sachverhaltes aber bewusst und lebt gerne nach dem Motto: „Lieber etwas doof aber ehrlich, als hoffnungslos verbohrt.“ Eines Oktoberabends im Jahr 2019 stellte Alfred mit Erschrecken fest, dass seine letzte Rolle Spezial-Klebeband zu Ende ging. Die verbliebenen 5,7 Zentimeter reichten gerade noch aus, um die jüngste Leckage des Heizungsrohres zumindest zeitweise zu stopfen, doch es war direkt klar, dass mehr Band notwendig werden würde. Früher, als Alfred die Bestellungen noch per Postkarte aufgegeben hatte, hatte er immer gerne Großpackungen bestellt, doch seitdem ihm der Neffe seiner Nachbarin Gisela vor einigen Jahren das Internet eingerichtet und erklärt hatte, beschränkte sich Alfred meistens auf kleinere Pakete; die waren auch weniger schwer zu schleppen. Die letzte Bestellung hatte Alfred schon vor zwei Tagen aufgegeben und eigentlich hätte bereits angekommen sein sollen. Bei seinem allabendlichen Besuch im Kiosk mit angeschlossenem Paketshop – zwecks Feierabendbier – hatte er extra noch einmal nachgefragt, doch dort war nichts angekommen. Als an Tag drei noch immer nichts angekommen war, wurde Alfred etwas ungeduldig und erzählte beim Kaffee Gisela davon. Die konnte es sich nicht nehmen lassen, ihrem Neffen eine Nachricht zu schreiben und etwa eine Stunde später lotste dieser die beiden Rentner per Videoanruf durch die Webseite des Versandunternehmens zum Sendungsstatus. „Mmh, die Sendung konnte nicht zugestellt werden und voraussichtlich am nächsten Werktag geliefert“, las Alfred nachdenklich vor. „Aber der nächste Werktag war doch schon gestern“, ergänzte Gisela, „und morgen ist Sonntag. Da liefern die garantiert nicht aus.“ „Mmh…“, grübelte Alfred still vor sich hin. „Ich habe noch Tesafilm da. Hilft dir der vielleicht?“ Alfred zuckte mit den Schultern. „Einen Versuch ist es vielleicht wert, bevor der Keller morgen unter Wasser steht.“ Also wickelte Alfred in der nächsten Stunde mehrere Rollen Tesafilm aus dem 1-Euro-Shop um die Leckage und hoffte, dass es seinen Zweck ausreichend erfüllte. Montagmorgen circa 9:00 im lokalen Verteilzentrum von Theodors Arbeitgeber. „Theo, was machst du denn hier? Hast du nicht heute frei?“ „Ja, logo“, lachte Theodor dem Lagerleiter entgegen. „Ich Dummerchen hatte am Samstag nur meine Regenjacke hier im Spind vergessen und die brauche ich heute Nachmittag“, gluckste er vor sich hin. „Ach Theo, wenn dein Kopf nicht angewachsen wäre, dann würdest du den doch sicherlich auch vergessen.“ „Jau, Chef.“ Theo war schon auf dem Weg zur Tür hinaus, als ihm ein kleines Paket auffiel, das etwas herrenlos neben einer der Ausgangsboxen lag. Stirnrunzelnd betrachtete er die verschiedenen Aufkleber. „Chef?“, rief Theo. „Ja, was ist denn noch?“, antwortete dieser leicht genervt. „Kannste mal hier gucken? Warum liegt denn das hier noch?“ Seelenruhig stapfte der Lagerleiter zu Theo und den Paket, um selbst einen Blick darauf zu werfen. „Liest doch selbst“, grummelte der Lagerleiter, „Filiale geschlossen. Erneuter Zustellungsversuch am nächsten Werktag.“ „Ja, aber…“ „Was, aber? Ist doch glasklar!“ „Filiale 404 hat aber 24 Stunden offen und der nächste Werktag wäre schon am Freitag gewesen“, fügte Theo hinzu. Der Lagerleiter rückte seine Brille zurecht, schaute noch einmal genauer hin und schnappte sich dann sein Diensttelefon, um etwas nachzuschlagen. „Mmh…, ich werde mal mit dem zuständigen Fahrer sprechen, damit das noch auf den Weg geht.“ „Ich kann das auch mitnehmen. Liegt auf meinem Weg nach Hause. Und dann wird es direkt noch zugestellt, falls es etwas wichtiges sein sollte“, lächelte Theo in breit an. „In Ordnung. Überstunde gibt es dafür aber keine!“ Theo nickte zufrieden, schloss den Reißverschluss seiner Regenjacke, schnappte sich das Paket und verschwand durch die Tür. Etwas über eine Stunde später fragte Alfred mehr zufällig noch einmal in seinem Kiosk nach und konnte freudig und erleichtert das Paket in Empfang nehmen. Noch eine weitere Stunde später war das bekannte Rohr erst einmal wieder geflickt und alle waren glücklich. Doch ist es nicht alles nur wieder eine Frage der Zeit? Wann wird die Erde tatsächlich auseinanderbrechen? Alfred lebt ja schließlich nicht ewig und es dürfte schwierig werden, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin auszubilden, die das Rohr genauso sorgfältig reparieren werden. Theodor wäre vielleicht ein guter Kandidat, aber dann doch wieder etwas zu schusselig. Ehrlich gesagt, wissen wir, wann die Erde auseinanderbrechen wird: morgens am 18. Februar 2023. Am Abend vorher wird Alfred im Alter von 78 Jahren leicht alkoholisiert mit geprellter Hüfte und angebrochenem Becken ins Krankenhaus eingeliefert. Gisela hat er an seiner Seite. Sie ist im Gegensatz zu ihm beim Sturz aus dem Bett weich gelandet.
Lieder Theodor oder wie du in der Realität heißt,
mein Dank geht an dich, dafür, dass du meine Pakete geliefert hast, obwohl es eigentlich gar nicht deine übliche Route war. Einen schönen Gruß an deinen Kollegen und richte ihm aus, dass, wenn er schon zu faul ist die Lieferungen in der Filiale abzugeben, dann sollte er doch wenigstens einen plausiblen Grund angeben. „Filiale geschlossen“ ist schwierig, wenn sie dauerhaft geöffnet hat. Außerdem hat er es nicht geschafft, die Zettelchen mit seiner Lüge auf die richtigen Pakete zu kleben. Die Nummern stimmten nicht überein. ;)
Gruß
Peter